Im Herbst 2012, kurz vor Beginn des Streiks, bot sich beim Verpackungshertseller Neupack folgendes Bild:
Am 1. November 2012 sind 110 Arbeiterinnen und Arbeiter von Neupack in den unbefristeten Streik getreten, um Verhandlungen über einen Tarifvertrag zu erzwingen. Dass es zu diesem mutigen Schritt kam, lag nicht nur an der sturen, auf ihrem Willkürrecht bestehenden Eigentümerfamilie, sondern auch an der jahrelangen Überzeugungs- und Organisierungsarbeit der für Neupack zuständigen IG BCE-Sekretäre und einigen aktiven Mitgliedern des Betriebsrates.
Doch wer hätte angesichts der eingangs skizzierten Konstellation gedacht, dass am 1. November 2012 in den Neupackwerken in Hamburg und Rotenburg einer der längsten und intensivsten Arbeitskämpfe der deutschen Nachkriegsgeschichte beginnt? Wer hätte gedacht, dass der Streik trotz der Einstellung von über 50 Streikbrecherinnen und Streikbrechern nach 2 1⁄2 Monaten so wirkungsvoll werden würde, dass die streikführende Gewerkschaft sich Sorgen machte, der Betrieb könne, da die halsstarrige Eigentümerfamilie zu Gesprächen über einen Tarifvertrag nicht bereit war, kaputtgestreikt werden?
Der von der IG BCE erst am 9. August 2013, also nach neun Monaten, offiziell beendete Streik wurde zu einem der lehrreichsten Arbeitskämpfe der letzten Zeit. Bis heute findet die Auseinandersetzung bei Neupack innerhalb und außerhalb der Gewerkschaften Beachtung, weil sie ein Schlaglicht wirft auf die zentralen rechtlichen und organisatorischen Schwierigkeiten betrieblicher Kämpfe. Es geht dabei um folgendes:
Der Film dokumentiert zunächst den 3-monatigen Vollstreik, dann den von der Streikleitung der IG BCE durchgesetzten Übergang in den „Flexistreik“ und schließlich die Auseinandersetzungen zwischen Streikenden und Gewerkschaftsführung über die eigentlichen Ziele und die richtigen Mittel eines Arbeitskampfes, der begonnen wurde, um „ein Exempel zu statuieren“ (so der Vorsitzende der IG BCE, Michael Vassiliadis, Streikinfo 4, 9. 11. 2012).
Die offenen und selbstkritischen Diskussionen unter den Streikenden über die Schwierigkeit, eigenständige demokratische Strukturen aufzubauen, sind ein weiteres Thema des Filmes.
Wenn die Gewerkschaftsbewegung etwas von der Organisationsmacht, die sie in den letzten Jahrzehnten verloren hat, zurückerobern will, dann müssen die Probleme, die der Neupackstreik sichtbar gemacht hat, auf die Tagesordnung gesetzt, intensiv bearbeitet und offen diskutiert werden. Die in der Linken innerhalb und außerhalb der Gewerkschaften nach dem Ende des Streiks heftig umstrittene Frage, ob es sich bei dem Verhandlungsergebnis um einen Erfolg, einen Teilerfolg oder eine totale Niederlage gehandelt hat, ist unserer Meinung nach zweitrangig. „Ein Tarifvertrag ist kein Himmelsgeschütz“ (Oliver Venzke, stellvertr. Bezirksleiter der IG BCE Hamburg/Harburg) und auch nicht unbedingt eine Etappe auf dem Weg zum Sozialismus. Andererseits wird die – gemessen an den ursprünglichen Zielen – recht magere Betriebsvereinbarung, die am Ende herausgesprungen ist, nicht die Erfahrung des gemeinsamen Kampfes überschatten und die Belegschaft nicht daran hindern, einen neuen Anlauf zu nehmen, „wenn es soweit ist“, so der Betriebsratsvorsitzende Murat Güneş.
Für das Filmteam gilt im Prinzip das Gleiche wie für den Streik: wir hatten die Dauer und die Schwierigkeiten unterschätzt, wir hatten kaum, oder besser gesagt: gar keine Erfahrungen mit dem Filmemachen. Und nur der Unterstützung von außen ist es zu verdanken, dass wir nicht vorzeitig resigniert und das Abenteuer abgebrochen haben.
Hilfreich war zweifellos der Umstand, dass vor den bestreikten Werken große Jurten (runde Zelte) aufgebaut wurden, die von Beginn an ein Ort waren, der den Streik für die solidarische Öffentlichkeit – und für unsere Filmarbeit – zugänglich machten. Monatelang traf sich im Hamburger Zelt jeden Dienstag um 17 Uhr der sogenannte „Solikreis“: eine bunte Versammlung teils gewerkschaftsorientierter, teils gewerkschaftskritischer Unterstützer/innen, die zusammen mit den Streikenden und Vertretern der IG BCE leidenschaftlich den Stand des Arbeitskampfes erörterten. Meist war es uns gestattet, diese Diskussionen zu filmen – und dafür möchten wir allen Beteiligten an dieser Stelle herzlich danken!
Da wir erst im Januar 2013 zum Solikreis stießen und mit den Filmarbeiten begonnen haben, war für die Vollständigkeit der Dokumentation von unschätzbarem Wert, dass uns Sinan Özbolat von DIDF (Demokratik Işçi Dernekleri Federasyonu, Föderation demokratischer Arbeitervereine) seine Aufnahmen vom Streik, die in den ersten vier Monaten entstanden sind, freundlicherweise überlassen hat.
In der anschließenden Phase, in der wir in der Menge des Materials zu ertrinken drohten, brachte der Kontakt zu Ulrike Gay und Gerd Müller vom MPZ (Medienpädagogik Zentrum in der Susannenstraße) die Rettung. Die beiden haben uns nicht nur mit offenen Armen empfangen, sondern den Weg gezeigt, wie man aus dem vorhandenen Material (mittlerweile rund 100 Stunden Film- und 160 Stunden Tonaufnahmen) technisch und dramaturgisch einen Dokumentarfilm macht. Ulrike und Gerd stellten wiederum den Kontakt zu Aynur Gümüş her, ohne die wir die türkischen Interviews, die wir von Sinan Özbolat bekamen, nicht hätten auswerten und in die Dokumentation einbauen können. Sven Jacobs hat uns in einigen sokratischen Dialogen zu der Einsicht verholfen, dass es dem Film zugutekäme, wenn wir uns von ein paar „Lieblingsszenen“ und der groben Struktur der ersten Rohfassung trennen würden. Und Stephan Richter war schließlich stets zur Stelle, wenn wir seine Erzählstimme brauchten.
Damit sind nur einige genannt, die dazu beigetragen haben, dass der Dokumentarfilm über den Neupackstreik überhaupt möglich wurde. Allen, von den Interviewten und den Co-Interviewer/innen über die Tonangelhalter bis zur Kamerafrau und den technischen Beratern, sei ebenfalls herzlich gedankt. Ein Mangel, das sei noch erwähnt, ließ sich leider nicht vermeiden oder beheben: die Dokumentation konzentriert sich auf das Geschehen am Standort Hamburg-Stellingen, der Standort Rotenburg kommt zu kurz. Umso mehr haben wir uns über das schöne Interview gefreut, das wir mit einigen Streikenden gegen Ende des Arbeitskampfes in der Rotenburger Jurte führen konnten und das, auszugsweise in der Doku wiedergegeben, hoffentlich ein wenig für die Hamburg-Schlagseite entschädigen wird.
Titel:
Inhalt:
Dauer:
Kamera, Ton:
Schnitt:
Erstaufführung:
„Das ist unser Streik“
Der 9-monatige Arbeitskampf bei Neupack 2012/13
ca. 63 Minuten
Puschki Aalders, Hajo Rieckmann, Sinan Özbolat, Toni Aalders, Theo Aalders
Puschki Aalders, Hajo Rieckmann
1. 11. 2014
Mit Unterstützung des mpz (Medienpädagogik Zentrum Hamburg e. V.)